Invisible

Nicht von dieser Welt scheint das kleine Mädchen mit den dunklen Haaren zu sein. In Angela Fechters neuem Bilderzyklus „Invisible“ ist sie die Protagonistin einer geheimnisvollen Geschichte, die in einer verlassenen Hütte in den Bergen spielt. Das Mädchen bleibt einsam, gefangen in ihrer Gedankenwelt, nur mit dem eigenen Spiegelbild als Gegenüber. Einziger Gegenpart ist die Natur, die romantisch überhöht, aber auch als Bedrohung dargestellt wird. Majestätisch erheben sich die Berggipfel aus dem Nebelmeer im Tal. Angesichts dieser Kulisse muss sich der Mensch klein und unbedeutend fühlen. Doch schon im nächsten Bild dringen wärmende Sonnenstrahlen durch die dürren Tannenzweige. Ihre dicken Stämme werfen lange Schatten auf den Waldboden und vermitteln eine ursprüngliche Kraft, die sich auch auf die zierliche Mädchengestalt überträgt.

 

Angela Fechter beschäftigt sich schon seit ihrem Studium an der Münchener Kunstakademie mit inszenierten Frauengestalten. Oftmals war es sie selbst, die auf den Bildern und Videos mit silberfarbener Perücke rätselhafte, destruktive, bisweilen selbstzerstörerische Handlungen vornahm. Später dann wurde die eigene Tochter, gleichsam als alter Ego oder Erinnerung an die eigene Kindheit ins Bild gesetzt. Die Frauengestalten in Angela Fechters Fotografien erscheinen melancholisch, fragil, wie Traumwesen in ihrer eigenen Gedankenwelt verstrickt, oftmals in Grenzsituationen, an der Schwelle zum Ungewissen. Dabei wirken ihre Identitäten ebenso brüchig wie ihre mit einfachen Perücken und Kleidern ausstaffierte Erscheinung. 

 

Die Fotografien der neuen Serie „Invisible“ sind auratisch aufgeladen durch den Schauplatz, einer verlassenen Hütte im Wald. Die einstigen Besitzer haben sich das Leben genommen und ihre ärmlichen Habseligkeiten dort zurückgelassen – ein Kofferradio, Bücher, Bettzeug und an der Wand die Zeichnung eines Schutzengels, der nicht mehr helfen konnte. Angela Fechter ließ sich durch das Romanfragment „Der Fall Franza“ von Ingeborg Bachmann zu dem Fotozyklus inspirieren. Doch auch ohne Näheres über die Zusammenhänge zu wissen, verfängt sich der Betrachter in der rätselhaften Bildergeschichte und beginnt seinen eigenen roten Faden zu spinnen.

 

Cornelia Gockel